Die Tücken des Hilfetelefons
Am 25. November ist es wieder einmal so weit, es ist der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen.
Vielleicht zeigt SAT1 wieder den sehr beeindruckenden und ergreifenden Film „Die Ungehorsame“, in jedem Fall aber wird, wie jedes Jahr, die Aktion #schweigenbrechen und das #hilfetelefon quer durch alle sozialen Netzwerke geteilt werden.
Frau soll ermutigt werden, das Schweigen zu brechen und sich einen Weg aus der Gewalt zu suchen. Und das stellt man sich dann sehr idyllisch vor: Frau sieht, dass ihr Hilfe angeboten wird, fasst sich ein Herz, ruft beim Hilfetelefon an, trennt sich noch am gleichen Tag, ist endlich in Sicherheit und kann mit ihren Kindern von nun an ein neues, gewaltfreies Leben beginnen.
Die Guten ins Töpfchen – die Schlechten auch
Leider ist dieses Happyend wenn Kinder im Spiel sind relativ unwahrscheinlich. Denn nun wird der Umgang geregelt, und plötzlich interessiert das, was vorher war fast niemanden mehr – zumindest oft nicht die Institutionen, die den Umgang des getrenntlebenden Elternteils festlegen.
Gerne wirft man dort alle Väter – die Guten wie die Bösen – in einen Topf. Es wird nicht mehr differenziert, ob der Vater für seine Kinder auch gedeihlich ist, ob eine liebevolle Beziehung zu seinen Kindern aufgebaut, oder ihnen vielmehr durch psychische oder körperliche Gewalt geschadet hat. Alleine die genetische Vaterschaft reicht offenbar vollkommen aus, um ohne Prüfung der Vorgeschichte davon auszugehen, dass er für die Entwicklung seiner Kinder in jedem Fall sehr wichtig, ja sogar unerlässlich ist.
In den allermeisten Fällen ist das auch der Fall, aber eben nicht immer.
Gesunder Menschenverstand? Nicht immer vorhanden.
In diesen wenigen Fällen hoffen wir, dass eine Mutter sich der Gefahr bewusst ist, und bei der Regelung des Umgangs für ihre Kinder eintritt. Dass sie die Sorge formuliert und Zweifel daran äußert, dass ein Umgang zum jetzigen Zeitpunkt – so kurz nach der Trennung und nach der eskalierten Gewalt – eine gute Idee sei, weil sie alle erstmal Zeit bräuchten, um zur Ruhe zu kommen und Abstand zu gewinnen.
Ja, das denken wir, in unserer grenzenlosen Naivität und im Vollbesitz unseres gesunden Menschenverstandes. Leider kann man im familienrechtlichen System aber nicht mit 100%iger Sicherheit davon ausgehen, dass man auch dort so denkt. Frau kann Glück haben und an ganz erfahrene und einfühlsame Mitarbeiter geraten. Das Problem ist aber, dass sie auch Pech haben kann und ihre begründeten Ängste nicht nur nicht ernst genommen, sondern sogar gegen sie verwendet werden.
Täter-Opfer-Umkehr
„Der Mann hat aber doch nur Sie geschlagen, und nicht die Kinder!“, kann frau zu hören bekommen, oder unter Umständen auch: „Das erfinden Sie doch nur, um den Mann, auf den sie jetzt verständlicherweise einen Groll haben, schlecht zu machen. Damit stören Sie aber die Vater-Kind-Beziehung und das ist Kindeswohlgefährdung.“
Damit hat, ehe sich die Frau versieht, eine Täter-Opfer-Umkehr stattgefunden. Auf Neudeutsch sagt man auch #victimblaming. Der Täter ist plötzlich das Opfer, weil Frau nachtragend ist und ihm gemeinerweise den Umgang mit den Kindern verwehren möchte. Die Mutter dagegen war vor der Trennung in den Augen aller das Opfer, ist nun aber der Täter, weil sie ihren Kindern den Vater nicht gönnt, der das einzige ist, was sie für ihre Glückseligkeit brauchen.
Zwei traurige und erschreckende Frauenschicksale
Pia K.
„Pia K. hat im Jahr 2013 mit einer Flucht ins Frauenhaus die Beziehung zu ihrem Freund beendet. Ihre damals einjährige Tochter hat sie mitgenommen. Ihr Freund war nach Pias Aussage schwer drogenabhängig. Sie belegt ihre Anschuldigungen gegenüber dem Gericht mit Kopien von ärztlichen Attesten und Einweisungen in die Psychiatrie. Doch trotzdem entschied das Lübbecker Familiengericht, dass das Aufenthaltsbestimmungsrecht dem Vater zugesprochen wird. Pia K. wird vorgeworfen, den Kontakt zwischen Vater und Tochter zu untergraben und man unterstellt ihr eine Bindungsintoleranz (PAS). Die Mutter hat vor Gericht immer wieder betont, dass sie ausschließlich aufgrund der damaligen Drogenproblematik gegen eine unbegleitete Betreuung durch den Vater ist.“ Lübbecker Kreiszeitung, 9.11.2016
Über ihren Fall berichtete auch Frontal.
Madlen B.
Die Nichtberücksichtigung von häuslicher Gewalt hat das Leben von Madlen B. und ihre Kinder auf grausame Art und Weise verändert. „Das Jugendamt hatte zwar ein offenes Ohr für meine Schilderungen, aber vom Gericht wurden die Gewaltereignisse verharmlost bzw. als „verjährt“ dargestellt. Auch die Aussagen meiner großen Tochter nahm man nicht ernst.“ Madlen B.
Der Vater der zwei kleinen Kinder, Laura und Ramush „nutzte“ dann den Umgang für die schrecklichste aller Taten, er töte beide Kinder.
Die Ratifizierung der Istanbul-Konvention
Der Grund für diese „Umgang-um-jeden-Preis-Haltung“ liegt darin, dass das Recht der Eltern auf Umgang viel mehr wiegt als der Opferschutz.
Solange das so ist, kann es unter Umständen verhängnisvoll sein, das Hilfetelefon anzurufen. War man vor dem Telefonat noch Opfer, ist man nachher Täter und es wird frau wegen angeblicher Kindeswohlgefährdung das Aufenthaltsbestimmungsrecht oder das Sorgerecht entzogen.
Nur durch die Ratifizierung der Istanbul-Konvention, ein im Europarat getroffenes Übereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen – ausdrücklich auch gegen häusliche Gewalt -, wären Frauen und Kinder besser geschützt. Denn dann würde auch beim Sorge- und Umgangsrecht Formen von häuslicher Gewalt berücksichtigt werden.
Deutschland hat die Istanbul-Konvention zwar unterzeichnet, aber erst durch die Ratifizierung wird sie rechtlich verbindlich. Bisher wurde sie von 21 Ländern ratifiziert – aber wie gesagt, nicht von Deutschland! Denn weder die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger noch der derzeitige Bundesjustizminister Heiko Maas Handlungsbedarf sahen bzw. sehen Handlungsbedarf.
Auf die Notwendigkeit, die Istanbul-Konvention zu ratifizieren weist auch Rona Duwe in ihrem sehr umfassenden und lesenswerten Artikel “Warum Schweigen brechen nicht reicht” hin.
Mit der Unterzeichnung dieser Petition von Christine Doering kann sich jeder ganz einfach für die Ratifizierung der Istanbul-Konvention einsetzen.
Der Petitionstext hält sich naturgemäß knapp.
Eine ausführliche Begründung für die Ratifizierung speziell für die Aspekte “Häusliche Gewalt” und “Umgangsgewalt” habe ich in dieser Datei formuliert: istanbul-konvention-die-losung-fur-umgangsgewalt
Warum ich mich gegen “Gewalt gegen Frauen” und ein unvoreingenommes Familienrecht engagiere steht in dem autobiografischen Roman “Mama zwischen Sorge und Recht”.
Ich hatte auch mal beim Hilfetelefon angerufen,weil mein Exfreund (nicht der Vater meiner Tochter) meine Tochter und mich terrorisiert hat und einfach nicht aus meiner Wohnung verschwinden wollte,obwohl er gar nicht wirklich hier gewohnt hat.Er war irgendwann nur noch bei mir in der Wohnung und hat sich um seine eigene Wohnung nicht mehr gekümmert,weswegen ihm gekündigt wurde.Davon wusste ich aber nichts,er hat mich dann nachher vor vollendete Tatsachen gestellt.
Als er sich dann komplett hier “eingenistet” hatte,ging dann das ganze Theater los.Er hat uns nur noch fertig gemacht…Damit ich ihn nicht rauswerfe,hat er mich mit verschiedenen Dingen erpresst.Als ich dann beim Hilfetelefon anrief,weil wir mit unseren Nerven total am Ende waren,und fragte,was ich jetzt tun soll und wie ich ihn aus meiner Wohnung kriegen soll,sagte mir die Frau am Telefon nur:”Aber Sie können den armen Kerl doch nicht einfach rauswerfen,er hat doch keine eigene Wohnung mehr.Das ist doch nicht fair,ihn jetzt einfach vor die Tür zu setzen…”
So ein victim blaming passiert auch unabhängig davon,ob man gemeinsame Kinder hat,wie man sieht…
Ich hab ihm dann einfach,bevor er irgendwo hingehen wollte,heimlich meine Schlüssel weggenommen und damit hatte sich das Thema dann erledigt.Er hat dann zum Glück seine Drohungen nicht wahr gemacht und hat sich nie wieder gemeldet…
Ich persönlich werde mich nur noch selbst um solche Dinge kümmern und andere gar nicht mehr um Hilfe bitten…Ich hab das nämlich immer nur so erlebt,dass man nicht ernst genommen wird und als Täter abgestempelt wird,wenn man von anderen ungerecht behandelt wird.Und darauf hab ich echt keinen Bock mehr!Ich brauche die Zustimmung und angebliche Hilfen von anderen nicht mehr.Aber das muss ja jeder selbst wissen,wie man mit sowas umgeht!
Oje, liebe Carola, liebe Frauen,
ich bekomme gerade Bauchweh. Frau soll ermutigt werden, das Schweigen zu brechen …. doch wer will wirklich zuhören und ergreift darüber hinaus Zivilcourage?
Herzrebellische Grüße,
Susan
Ja, liebe Susan, hier liegt das Problem! Allein der Name suggeriert, dass man dort Hilfe bekommt.
Bestimmt sitzen dort ganz tolle Beraterinnen an den Telefonen, die empathisch sind und die wirklich zuhören. Das allein ist oftmals wie Balsam auf der Seele, dass man gehört und verstanden wird.
Aber danach ist es Sprung in die Tiefe ohne Netz, weil nach der Trennung viel Unterstützung notwendig wäre, die aber nicht gewährleistet ist.
Einen ganz tollen Artikel darüber hat Rona Duwe (Phoenix-Frauen) geschrieben: http://phoenix-frauen.de/warum-schweigen-brechen-nicht-reicht/
Trotzdem ist die Sprechblase “Don’t call us” provozierend und nicht vollkommen ernst gemeint. Das Hilfetelefon ist eine sehr wichtige Einrichtung und zeigt Frauen, dass sie nicht alleine sind. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass es nur ein Baustein eines wichtigen Netztwerkes ist und noch großer Verbesserungsbedarf für nachhaltige Hilfen besteht.
Leider absolut #systemkrank