Welche Auswirkungen haben die Gesetzesreformen im Familienrecht für Alleinerziehende?
Als ich „Mama zwischen Sorge und Recht“ schrieb, dachte ich, dass ich die Einzige sei, die in eine so aberwitzige Situation geraten war.
Ich dachte, dass mein Buch – wenn überhaupt – zur Unterhaltung gelesen werden würde, einfach weil es spannend ist, in ein fremdes Schicksal einzutauchen, mitzufiebern, mitzuleiden und mitzulachen.
Doch dann schrieben mir sehr viele Leserinnen von ganz ähnlichen und noch schlimmeren Erfahrungen, so dass ich ins Grübeln kam, ob sich die Gesetzesreformen tatsächlich zum Wohle der Kinder auswirken. Denn so waren sie eigentlich gedacht.
Zu ihren Erfahrungen aus der Praxis habe ich Brigitte Rösiger vom Verband alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) befragt.
1. Sie sind seit fünf Jahren Geschäftsführerin des Landesverbandes Baden-Württemberg „Verband alleinerziehender Mütter und Väter“.
Was sind die TOP 3 der Sorgen, die Ratsuchende an Sie herantragen?
Haben Sie im Laufe der Jahre eine Veränderung feststellen können?
Die Themen an sich sind die gleichen geblieben:
• Unterhalt
• Frisch getrennt – was jetzt?
• Wie regeln wir Sorge- und Umgang
Was sich jedoch verändert hat, ist die Dimension der Nöte: Besonders oft mussten wir Frauen beraten, die Opfer der Unterhaltsreform 2008 wurden. Ihr Problem war, dass sie zusammen mit ihrem Partner die Entscheidung getroffen hatten, der Kinder zuliebe zuhause zu bleiben oder in Teilzeit zu arbeiten. An Trennung haben sie zunächst nicht gedacht – wer macht das schon, wenn man sich auf das junge Familienglück freut? Als dann aber die Beziehung in die Brüche ging und sie keinen Anspruch auf Betreuungsunterhalt hatten, sind sie in die Armut abgerutscht.
Neu, alarmierend und leider immer häufiger sind ganz dramatische Fälle, wie z.B. der Fall von Klara Lukas (Name verändert). Sie zog nach der Trennung mit ihrer Tochter ca. 100 km weg, weil sie ein Haus geerbt hatte, ihre Familie vor Ort war und sich für sie auch berufliche Möglichkeiten ergaben. Das wurde vom Gericht als Boykott dem Vater gegenüber gewertet und als Konsequenz dem Vater das alleinige Sorgerecht übertagen.
2. „Mehr Rechte für ledige Väter“, so wurde das neue Sorge- und Umgangsrecht in der Presse bejubelt. Denn es schien nur fair, dass alle Väter die gleichen Rechte haben und vor allem auch den Müttern in nichts nachstehen.
Alles andere wäre ungerecht, oder?
Ich würde sagen: Im Gegenteil. Man tut so, als ob Frauen beruflich die gleichen Chancen hätten und Männer die Kinder in gleichem Umfang versorgen, sowie den Haushalt zur Hälfte erledigen würden. Das ist aber bei weitem nicht der Fall. Die Gesetzesreform wäre nur dann gerecht, wenn die Pflichten grundsätzlich paritätisch verteilt und beide Partner auf Augenhöhe wären.
3. Der gesellschaftliche Trend geht aber doch in die Richtung, dass Männer mehr Anteil an der Kindererziehung übernehmen und Frauen beruflich bessere Möglichkeiten haben.
Ja, es besteht durchaus die Möglichkeit, dass Männer nicht nur die Ernährer und Frauen nicht nur die Heimchen am Herd sind. Aber in der Realität kommt es ab dem Moment, in dem Kinder zu versorgen sind, zu einer Retraditionalisierung. Das bedeutet, in 90% der Fälle sind die Männer die Hauptverdiener und die Frauen kümmern sich überwiegend um die Kinder. Andersherum ist es nicht ganz unmöglich, aber sehr selten.
Die rechtlichen Veränderungen eilen also der gesellschaftlichen Entwicklung kilometerweit voraus. Und das ist ungerecht. Nach einer Trennung fällt genau das den Frauen auf die Füße. Sie sind diejenigen, die finanziell benachteiligt sind, und zwar so sehr, dass laut dem Ersten Armuts- und Reichtumsbericht in Baden-Württemberg, der im Dezember 2015 veröffentlicht wurde, 46% der Alleinerziehenden in Baden-Württemberg als arm gelten.
4. Die Väterverbände monieren, dass Männer in familienrechtlichen Belangen noch lange nicht gleichberechtigt seien. Wie sehen Sie das?
In der Praxis ist es so: Väter die ihre Rechte einfordern, bekommen sie heute viel leichter und in vielen Fällen wird nicht genau hinterfragt, ob das auch im Sinne der Kinder ist.
Diejenigen Väter, die sich nicht einbringen wollen, werden hingegen nicht behelligt.
Die Rechte und Pflichten sind nicht gleich verteilt. Das ist das Problem.
Erst kürzlich schrieb mir eine Anwältin, die unserem Verein immer wieder mit Rat und Tat zur Seite steht: „Die Väter sind auf dem Vormarsch, was politisch gewollt ist. Also werden sie entlastet, wo möglich. Immer häufiger erhalten sie das Sorgerecht oder zumindest das Aufenthaltsbestimmungsrecht, um keinen Unterhalt zahlen zu müssen. Stattdessen nehmen sie für die Betreuung der Kinder ein Au-pair, das kostet zwar auch Geld, aber wenigstens erhält die Ex nichts. Soviel aus dem Leben einer Scheidungsanwältin!“
5. Wäre dann nicht das Wechselmodell eine elegante Lösung, um auch Väter in die Pflicht zu nehmen?
Das ist ein interessanter Ansatz, aber niemand würde einen Vater zum Wechselmodell zwingen können und wollen, wenn er dies ablehnt. Damit wäre das Kindeswohl gefährdet und ruckzuck sind wir wieder bei dem Problem der ungleichen Verteilung von Rechten und Pflichten.
Wenn also die Forderung nach der Doppelresidenz als Standard laut wird, geht es nicht darum, Väter in die Pflicht zu nehmen, sondern Mütter auch dazu zwingen zu können.
Dabei muss man genau hingucken, was die Motive der Väter sind, die das Wechselmodell gegen den Willen der Mutter durchsetzen wollen. In der Regel haben sie sich vor der Trennung nur sehr akzentuiert in die Kinderbetreuung eingebracht, wenn nun plötzlich das Bedürfnis nach einer paritätischen Aufteilung entsteht, könnte das auch an dem angenehmen Nebeneffekt liegen, dass der Kindesunterhalt dann ganz wegfällt.
Außerdem muss man bedenken, dass das Wechselmodell ist in erster Linie eine gerechte Aufteilung der Kinder zwischen den Eltern wäre. Dass es den Kindern gerecht wird, wage ich zu bezweifeln. Man beraubt die Kinder ihres Lebensmittelpunktes und mutet ihnen ein ständiges Umziehen zu.
6. Wie steht der VAMV der Einführung des Wechselmodells gegenüber?
Der VAMV sieht die folgenden Kindeswohlkriterien als Voraussetzung für ein paritätisches Wechselmodell:
• Alle Beteiligten und vor allem das Kind (die Kinder) möchten im Wechselmodell leben
• Die Wechselregelung ist im Interesse des Kindes flexibel.
• Die Eltern sind kooperationsbereit, kommunikationsfähig und bereit zur Zusammenarbeit. Sie können den erhöhten Organisationsaufwand bewältigen und sind bereit dazu. Die elterlichen Verpflichtungen werden gleichermaßen (1:1) auf beide Elternteile verteilt (Elternabend, Arztbesuch, Kindergeburtstag, gesundheitliche/hygienische Versorgung, Hilfe bei den Hausaufgaben, Besorgung Brille, Sportschuhe, Bringen /Holen zu Vereinen …)
• Die unterschiedlichen Kompetenzen der Eltern in der Versorgung und Betreuung des Kindes durch die vor der Trennung gelebte Familienwirklichkeit werden berücksichtigt und mögliche Änderungen behutsam und unter Berücksichtigung der Befindlichkeiten des Kindes vorgenommen
• Die Elternwohnungen liegen in räumlicher Nähe
• Die finanziellen Möglichkeiten der getrenntlebenden Familie sind – angesichts der höheren Kosten für ein Wechselmodell – ausreichend
• Beide Eltern sind in der Lage, dem Kind gegenüber Wertschätzung und Respekt für den anderen Elternteil auszudrücken
• Es gibt eine einvernehmliche und handhabbare Regelung des Unterhalts und finanzielle Fragen sind geklärt (Wer zahlt den Hortplatz, die Monatsfahrkarte..)
7. Vor der Einführung des Gemeinsamen Sorgerechts für ledige Paare äußerte sich der VAMV skeptisch. Edith Schwab gab zu bedenken, dass die Gemeinsame Sorge in Fällen, in denen Streitigkeiten auch durch eine Beratung nicht beigelegt werden können, keine gute Lösung ist, sondern die Alleinsorge oft die bessere Alternative wäre.
Wie sehen Sie das heute?
Genauso wie damals. Paare, die sich einig sind, teilen sich ohnehin das Sorgerecht. Bestand jedoch zu keinem Zeitpunkt ein gemeinsamer Lebensplan und eine Übereinstimmung in grundsätzlichen Dingen des Alltags, werden die Kinder durch das automatische Gemeinsame Sorgerecht in ein Spannungsfeld katapultiert, das großen Schaden anrichtet. Die Studien von Prof. Sabine Walper haben gezeigt, dass lang andauernde Konflikte zwischen den Eltern negative Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder haben.
Besonders diese Kinder bräuchten therapeutische Begleitung, die der nicht-betreuende Elternteil aber ganz leicht durch die Verweigerung seines Einverständnisses boykottieren kann.
Es mag sein, dass es ledigen Vätern ungerecht erscheint, nicht die gleichen Rechte am Kind zu haben wie Ehemänner. Aber der Ehebund bringt nun einmal rechtliche Unterschiede im Vergleich zu einer ledigen Beziehung mit sich.
Warum sollte das im Hinblick auf die Kinder keinen Unterschied machen?
8. Erst gestern schrieb mir wieder ein Mutter: „Leider muss ich – genau wie Sie – erfahren, wie wenig Unterstützung das Jugendamt bietet. In der Hinsicht fühle ich mich alleine gelassen.“
Wie kommt es aus Ihrer Sicht zu dieser fast flächendeckenden Unzufriedenheit mit der Unterstützung von Jugendamt?
Die MitarbeiterInnen haben den modernen Leitsatz „Ein Kind braucht immer Mama und Papa“ verinnerlicht.
Aber der Leitsatz hat sich durch die Sorgerechtsreformen und dem aktuellen Zeitgeist abgewandelt zu „Mama und Papa haben die gleichen Rechte“.
Genau hier liegt der Fehler!
Das Jugendamt müsste sich auf seine wirkliche Funktion „Ich bin für das Kind da“ zurückbesinnen. Dann ginge es nicht mehr um die Rechte der Eltern, sondern um die Bedürfnisse der Kinder und dann käme niemand mehr auf die Idee ein Kind mit Polizeigewalt zum Umgang mit einem Elternteil zu zwingen, wenn es diesen schreiend und strampelnd verweigert.
Um in schwierigen Fällen zu entscheiden, was bzw. wer für das Kind am besten ist, bräuchten sie Zusatzausbildungen und eine deutliche Personalaufstockung.
Beides ist politisch nicht gewollt, weil das viel Geld kosten würde.
Wie belastend dieser Spagat zwischen hoch gehängten Elternrechten und dem eigentlichen Auftrag ist, zeigt die hohe Fluktuationsrate in vielen Jugendämtern.
9. Was kritisieren Sie an der Gesetzesreform?
Eine Trennung hinterlässt tiefe Wunden und eigentlich bräuchten die meisten Ex-Partner bei der Bewältigung Hilfe. Aber anstatt sich mit einem fähigen Mediator gemeinsam an den Tisch zu setzen, entscheiden sich viel zu viele für den Gang zum Anwalt und damit für die kriegerische Auseinandersetzung – anstatt die friedliche Lösung. Die Behörden befeuern diesen Krieg, indem sie z.B. das Recht des Vaters stärken, anstatt den Schwerpunkt auf die Kinder zu legen.
Wenn Eltern sich trennen, verändert sich vieles – auch für Kinder. Sie brauchen in dieser Phase besonders viel Achtsamkeit und Zuwendung, um den Übergang in den neuen Lebensabschnitt gut zu bewältigen. Daher entwickelte Frau Prof. Sabine Walper den Elternkurs „Kinder im Blick“ zur Stärkung von Erziehungs- und Beziehungskompetenzen für Eltern in Trennung und Scheidung.
Es gibt auch Fälle, in welchen aufgrund problematischer Persönlichkeitsstrukturen eine Mediation nichts bringt, z.B. in Gewaltbeziehungen.
Diese Möglichkeit wird leider in der aktuellen Rechtspraxis ausgeblendet, sodass sich der gesunde Elternteil in einem nicht enden wollenden – aber leider aussichtslosen – Gerichtsmarathon wiederfindet.
Außerdem spielt das Thema Gewalt leider eine viel zu geringe Rolle in den Verfahren. Auch in Fällen, in denen der Vater sehr gewalttätig gegenüber der Mutter war und die Kinder das immer miterleben „durften“, gibt es keinen Umgangsausschluss für den Gewalttäter. Das ist eine Tragödie für die betroffenen Familien, die so nie zur Ruhe kommen können. Ich habe einige Zeit im Frauenhaus gearbeitet und weiß daher um die Problematik.
10. Was ist der häufigste Ratschlag, den Sie geben?
Ich versuche in den meisten Fällen konkrete Ratschläge zu vermeiden und die Menschen eher dazu zu befähigen, ihre eigenen Lösungsstrategien zu entwickeln. Das entspricht meiner Haltung, die ich als angehende Familientherapeutin einnehme. Was ich immer wieder vorschlage ist, dass sich die Eltern in die Rolle ihres Kindes hineinversetzen sollen und mal versuchen sollen, nachzuspüren, wie es dem Kind eigentlich geht.
Bild:©Brigitte Rösiger
Vielen Dank, liebe Frau Rösiger, für das aufschlussreiche Interview!
Carola Fuchs
Hier gehts zur Website des VAMV Baden-Württemberg.
VAMV-Zweigstellen gibt es übrigens bundesweit verteilt. Schaut doch mal bei eurer nächstgelgenen vorbei bzw. klickt auch deren Website.
Meine aberwitzigen Erfahrungen mit dem derzeit praktizierten Familienrecht sind hier als Roman nachzulesen:
Ich würde gerne ergänzende Anmerkungen machen. Es gibt auch sehr viele Fälle, wo es z.B. keine körperliche Gewalt gibt, sondern eine psychische, die, wie ich finde, oft vergessen wird. Es gibt einige narzisstische Väter oder auch Mütter, die sich sehr gut verkaufen können, aber mit denen man keine Sorge teilen kann.
Das wäre mir ein Anliegen, dass dies auch mehr zur Sprache kommt und Fachkräfte in den Amststuben sitzen, die dies erkennen.
Auf der anderen Seite werden viel Väter von den Ämtern oft in Ruhe gelassen, obwohl sie keinen Unterhalt zahlen; z.B. hatte bei mir die Beistandschaft lediglich die Möglichkeit, den Vater schriftlich aufzufordern, konnte aber nichts Rechtliches unternehmen, um den Unterhalt einzuklagen. Dies musste ich dann privat machen.
Liebe Bartels,
damit sprichst du ein sehr wichtiges Thema an. Psychische Gewalt ist genau zerstörerisch wie körperliche, aber leider noch weniger greifbar.
Dies zu erkennen erfordert viel Wissen und Erfahrung …
Die im Interview zur Sprache gekommenen Probleme zeigen einmal mehr auf, wie wichtig es ist, sich mit dem System PATRIARCHAT zu befassen. Es ist die Basis für die Gewalt in dieser Welt und alle weiteren Probleme, mit denen die Menschheit zu tun hat. Patriarchat ist ungerecht. Es existiert seit grade 8000 Jahren und die Evolution hat uns bis heute nicht an diesen unnatürlichen Zustand angepasst. In unserem Inneren sind wir weiterhin MATRILOKAL und MATRILINEAR. Eine Mutter, die nicht zu ihrer Mutter und ihren Geschwistern zurückziehen darf, wird in PATRILOKALITÄT gezwungen. Eine Mutter, die zulässt, dass ihre Kinder den Namen des Vaters tragen, fördert PATRILINEARITÄT. Beides zusammen sind die Säulen des Patriarchats. Also allein eine Mutter, die den Namen des Vaters gar nicht erst bekannt gibt, verhindert Patriarchat. Der Gender-Feminismus hat das Patriarchat gestärkt. Diese “Feministinnen” haben uns einen Bärendienst erwiesen. Unter Berufung auf die Bedeutung der Mithilfe der Männer bei der Kinderbetreuung, unter Berufung auf das Kindeswohl und unter Berufung auf Gerechtigkeit wurde das Dogma, dass ein Kind seinen leiblichen Vater braucht, beschworen. Tatsächlich wurden die Väter dadurch nur noch weiter gestärkt, die Kinder in Gefahr gebracht und die Ungerechtigkeit unseres Patriarchats noch vergrößert. Das Dogma ist als patriarchales Instrument entlarvt.
Danke für dieses wertvolle Interview, sehr klare Darstellung der kindeswohlgefährdenden Zustände an dt. Jugendämtern und Familiengerichten und der effektiven Existenzvernichtung von Müttern.