Kürzlich ließ mich das GMX-Kundenmanagement-Team wissen, dass mein Postfach fast voll ist und ich es leeren soll. Also machte ich mich ans Werk. Allerdings musste ich sehr schnell feststellen, dass ich mich von den meisten Mails gar nicht trennen konnte, weil es sehr persönliche Briefe von LeserInnen waren. Schon bald war ich nicht mit Löschen, sondern mit Lesen beschäftigt und erstaunt darüber, wie viele genau ihre Geschichte in meiner wiederfanden.
„Hallo liebe Carola“, schrieb mir Susanne K., „ich habe dein Buch vor meinem Gerichtstermin gelesen und es hat mir sehr geholfen zu wissen, dass es anderen genauso ergeht wie mir. Auch ich mache diesen Irrsinn seit sieben Jahren mit und war etliche Male vor Gericht. Das letzte Mal vor zwei Wochen, als darüber entschieden wurde ob ich das Ordnungsgeld wegen Umgangsverweigerung zahlen muss, nachdem der Vater wiedermal versucht hat, mit Polizeigewalt seine Tochter gegen ihren Willen zu holen. Aber auch ich lass mir mein Leben nicht vermiesen und bleibe stark und genieße es trotz all der Schikanen. Danke für dein großartiges Buch, es könnte wirklich auch meine Geschichte sein!
Liebe Grüße, Susanne!“
In weiteren Mails erzählte sie mir Details aus den sieben langen Jahren und über weite Strecken war ihr Albtraum mit meinem wirklich deckungsgleich. Aber auch andere LeserInnen, deren Erlebnisse deutlich weniger Parallelen auswiesen, schrieben, wie surreal es sich anfühlte, das eigene Schicksal als Roman zu lesen.
Klonmensch Thomas?
Eine Mutter meinte sogar „Wenn ich es nicht mit Sicherheit ausschließen könnte, würde ich denken, Sie wären mit meinem „Thomas“ zusammen gewesen.
Nun, vor fünfzig Jahren gab es noch nicht einmal das Klonschaf Dolly, sodass Thomas-Klone mehr als unwahrscheinlich sind. Und doch merkte ich beim Lesen von all den schwierigen Umgangs- und Sorgerechtsgeschichten, dass sie einen gemeinsamen Nenner hatten: die Thomasfigur.
Daher fragte ich mich, was macht einen Menschen zu einem „Thomas“? Es schien weder das Aussehen, noch der Beruf, noch die Herkunft und gelegentlich nicht einmal das Geschlecht zu sein.
Narzissmus ist der Schlüssel
Der gemeinsame Nenner, den alle Thomasse aufwiesen, war ein sehr sympathisches, überzeugendes Auftreten, gepaart mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstruktur.
Narzisstische Persönlichkeitsstruktur – das sagt sich so einfach, dabei steckt eine komplexe, ja sogar perfide Dynamik dahinter, die ganze Lebensentwürfe platzen lassen kann und nur dann zu durchschauen ist, wenn man sich intensiver mit ihr beschäftigt.
Wie oft hat man sich selbst Vorwürfe gemacht, diesem Typ Mensch auf den Leim gegangen zu sein? Und dann sieht man sich bei Umgangs- und Sorgerechtsstreitigkeiten auch noch mit Kommentaren wie „Immerhin haben Sie ihn sich doch selbst ausgesucht, oder?“ konfrontiert, weil die Mitarbeiter vom Jugendamt und Gericht häufig von Narzissmus keine Ahnung haben.
Damit wird der Spieß umgedreht, als Opfer hat man plötzlich selbst Schuld.
Kein Zeichen von Dummheit
Dabei sind die Erkenntnisse über narzisstische Persönlichkeitsstörungen keine Geheimwissenschaft, sondern für jeden frei zugänglich. „Der Beginn einer narzisstischen Liebe gleicht immer einem gigantischen Feuerwerk mit jeder Menge erotischem Zündstoff. Die Eroberungskünste des Narzissten sind beeindruckend und unvergleichbar. Wer jemals von einem solchen Charmeur und Kavalier umgarnt wurde und die Verzauberungskünste eines Narzissten erleben durfte, der wird in seinem Leben nie wieder etwas anderes haben wollen“, schreibt z.B. Sven Grüttefien in seinem kostenlose E-Book „Die narzisstische Beziehungskurve“ im Kapitel der „Der Anfang“.
Es ist also keineswegs ein Zeichen von Dummheit oder Naivität, auf einen Narzissten hereinzufallen, sondern fast unmöglich, sich ihm zu entziehen, wenn er es auf einen abgesehen hat. Allein diese Erkenntnis nimmt eine große Last von den Schultern der Betroffenen.
Im Fortgang des Büchleins, das den immer gleichen Verlauf einer narzisstischen Beziehung beschreibt, reiht sich ein Aha-Erlebnis an das andere. Ich war beim Lesen hin- und hergerissen zwischen seelischer Entlastung und dem Gedanken „Hätte ich das alles nur schon viel früher gewusst!“
Es gibt viel zu tun
Aber hädi, dadi, wari – wie wir in Bayern sagen – war noch nie mein Lebensprinzip. Vielmehr gilt es die Ärmel hochzukrempeln und das Wissen über Narzissmus unter die Leute zu bringen, und zwar in dreierlei Hinsicht:
- Prävention
Psychologie sollte im Lehrplan aller Schulen eine viel wichtigere Rolle spielen - Hilfe zur Selbsthilfe
Menschen, die im Umfeld von Narzissten leben, benötigen einen Einblick in die Dynamik und bekommen damit Bewältigungsstrategien an die Hand. - Opferschutz
Menschen, die sich aus Beziehungen mit einem Narzissten befreien möchten, brauchen Unterstützung. Daher müssen besonders alle Beteiligten von familienrechtlichen Verfahren tiefgreifenden Kenntnisse über Narzissmus haben. Nur so können sie den Betroffenen eher helfen, als ihnen zusätzlich zu schaden.
Wer nun Blut geleckt hat und tiefer einsteigen möchte, wird beispielsweise auf der Seite Umgang mit Narzissten fündig. Zu den verschiedensten Schwerpunkten sind zahlreiche Artikel und Links zu Büchern veröffentlicht, die ich nur wärmstens empfehlen kann.
Carola Fuchs
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