Rolling Stones
In Zeiten, in denen Kinder ein emotionaler Anker sind, wenn die Beziehung wegbricht und folglich immer häufiger und erbitterter um die Kinder gestritten wird, ist das Familienrecht ein hochbrisantes Thema.
In den vergangenen Jahren konnten die Väterverbände die Rechte der Väter sukzessive gegen das entschiedene Veto von Organisationen wie “Verband alleinerziehender Mütter und Väter” (VAMV), “Terre des Femmes” oder Frauenhaus-Dachverband (ZIF) stärken.
Ohne gesunden Menschenverstand
Diese Entwicklungen waren zunächst spurlos an mir vorübergegangen. Daher traf mich die Tatsache, dass es bei unserem Umgangsverfahren in erster Linie um die Rechte des Vaters ging, vollkommen unvorbereitet. Ich hatte mit einem salomonischen Richter gerechnet, der sich mit Kinderseelen auskennt und einer Sachbearbeiterin beim Jugendamt, die sich für die Bedürfnisse eines Kleinkindes stark machen würde.
Stattdessen schien bei den Behörden jeglicher gesunder Menschenverstand abhandengekommen zu sein. Es interessierte sich niemand dafür, ob der klagende Vater vor der Trennung eine tragfähige, vertrauensvolle Bindung zu seinem Kind aufgebaut hatte, ob er Vereinbarungen einhielt oder gewaltfrei kommunizierte.
Unbeugsame Frauen melden sich zu Wort
Mit diesen Erfahrungen war ich aber nicht allein. Im Gegenteil. Immer mehr Mütter taten sich in Selbsthilfegruppen und in den sozialen Netzwerken zusammen, erzählten ihre oft haarsträubenden Geschichten, brachten die Missstände auf den Punkt und versuchten, die Öffentlichkeit darüber in Kenntnis zu setzen.
Letzteres gestaltete sich aber schwerer als gedacht, weil die Medien sich lieber mit Hingabe der bedingungslosen Bejubelung der gestärkten Väterrechte widmeten, ohne auch die möglichen Schattenseiten zu erwähnen. Es hatte für die Mütter den Anschein, als würden nahezu alle Leserbriefe, alle Kommentare und Bittschreiben an diverse Politiker ungelesen im Papierkorb landen.
Resignation machte sich breit. Bei allen Müttern? Nein!
Ein aus unbeugsamen Frauen bestehendes Netzwerk hörte nicht auf, diesem bedingungslosen Papa-Hype ein Gegengewicht zu setzen und wurde nicht müde, Redakteure und Politiker anzuschreiben, um diese über die Missstände in Kenntnis zu setzen.
Rolling Stones
Wie viele kleine Steine, die irgendwann die kritische Masse erreichen und eine ganze Gerölllawine auslösen, haben die vielen Wortmeldungen bewirkt, dass die Qualität bei Kindschaftsverfahren an entscheidender Stelle hinterfragt wird.
Einen richtig großen Brocken hatte Carola Wilcke, Journalistin, Verfahrensbeiständin, angehende Sozialpädagogin und Gründerin der Selbsthilfegruppe „Löwenmamas“ angestoßen. Auch sie war mal eine betroffene Mutter. Eines ihrer Schreiben ging vor vielen Monaten im Büro von Markus Weinberg (CDU) ein, der mittlerweile schon durch viele Briefe von betroffenen Müttern hellhörig geworden war. Beeindruckt von ihrer scharfsinnigen Problemanalyse samt Verbesserungskonzept, lud er sie als Expertin zur Anhörung vor der Kinderkommission in den Bundestag ein, die sich mit der Qualitätssicherung in Kindschaftsverfahren, insbesondere der Qualifizierung von Familienrichtern, Gutachtern und Verfahrensbeiständen befasst:
Frage des BTs: “Wie erleben Sie als Verfahrensbeistand die Qualifikation der verschiedenen Prozessbeteiligten in der Praxis?”
Carola Wilcke: “Ich erlebe häufig kinderpsychologisch nicht geschulte Jugendamtsmitarbeiter, Familienrichter, Gutachter und auch Verfahrensbeistände.
Mein Eindruck ist der, dass Entscheidungen und Verfahrensgestaltungen sich nicht am Kindeswohl orientieren, sondern einer Bestrafungsintension folgen oder Gerechtigkeit zwischen den Eltern herstellen sollen. Besonders deutlich wird das in der aktuellen Debatte um das Wechselmodell, die zu einer absurden Argumentation auf Seiten der FDP geführt hat. Kinder haben nicht oft die gleichen Bindungen zu ihren Elternteilen und wollen nicht gleich viel Zeit mit Mutter und Vater verbringen. Sie haben eine Bindungshierarchie. Ganz oben steht die Hauptbezugsperson, die im Regelfall die Mutter ist. Ganz einfach aus dem Umstand resultierend, weil sie in den ersten bindungsrelevanten Lebensjahren die quantitativ und qualitativ meiste Betreuungsarbeit geleistet hat.
Kenntnisse aus der Bindungsforschung vermisse ich am allermeisten bei den Beteiligten.” Ganze Rede lesen
Carola Wilcke
Journalistin, Verfahrensbeiständin, angehende Sozialpädagogin und Gründerin der Selbsthilfegruppe „Löwenmamas“
Foto: privat
Der Rede wurde intensiv gelauscht und es wurde fleißig mitgeschrieben.
Die Brennpunkte
Besonders bei der Aufzählung der immer hautsächlich auftretenden Probleme spitzten die Abgeordneten und Vertreter weiterer Behörden die Ohren.
Als da wären:
- Rollenkonflikte, d.h. Verwechslung Kindeswille/Kindeswohl begleitet von dem Bedürfnis, den Beschluss gleich selbst zu verfassen
- Enge Zusammenarbeit mit Jugendamt/Gutachtern/Familienrichtern, dadurch keine Unabhängigkeit mehr
- Parteilichkeit für den ein oder anderen Elternteil, dem vermeintlich zum Recht verholfen werden soll, weil er als der Schwächere wahrgenommen wird
- Schwierigkeiten, eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Kind aufzubauen bzw. das Kind zum Reden zu bringen
- Keine Kontrollinstanzen, d.h. fehlende Fachaufsicht bzw. Beschwerdestelle
- Kaum Möglichkeiten für Eltern oder Kind, einen fachlich nicht versierten Verfahrensbeistand loszuwerden
- Richter kritisieren kaum die Zuarbeiten ihrer Verfahrensbeistände bzw. stellen deren Fachlichkeit in Frage
- Einen sehr großen Raum in den Stellungnahmen nehmen die Bewertungen der Eltern ein, das obliegt nicht dem Verfahrensbeistand
In den anschließenden Gesprächen wurde deutlich, dass die Abgeordneten zwar nicht unbedingt, wie ich vor vielen Jahren, von salomonischen Richtern, aber in jedem Fall von tiefergreifenden Kenntnissen die Kinderseelen betreffend ausgingen und vor allem beim Jugendamt mehr Sachverstand voraussetzten.
Prof. Ludwig Salgo von der Universität Frankfurt/Main hat in seinem Vortrag an gleicher Stelle die Defizite der Richterschaft beleuchtet und Lösungen aufgezeigt.
Eines seiner großen Themen ist die kritische Hinterfragung bestimmter Glaubenssätze durch die Entscheider. Wie z.B.:
- Braucht ein Kind wirklich immer beide Elternteile, um gesund aufwachsen zu können?
- Entspricht das gemeinsame Sorgerecht wirklich immer dem Kindeswohl am besten? Die Sozialwissenschaftler sind da anderer Meinung.
Und die Mitspieler im Familienrecht dürfen sich an dieser Stelle gern kritisch hinterfragen, inwiefern ihre Handlungen davon geprägt sind.
Jetzt bloß nicht locker lassen
Nun, da eine Sensibilisierung für das Thema erreicht ist und die Qualität bei Kindschaftsverfahren auf dem Prüfstand steht, dürfen wir nicht locker lassen.
Dafür wird auf alle Fälle auch der in Gründung begriffene Verein MIA – Mütterinitiative für Alleinerziehende sorgen und all die zahlreichen Mütter, die mit ihren Betroffenenberichten – um bei dem Bild zu bleiben – mit ihren einzelnen kleinen Steinchen entscheidend zu der Gerölllawine beitragen.
Carola Fuchs
Ich hatte mit einem salomonischen Richter gerechnet, der sich mit Kinderseelen auskennt und einer Sachbearbeiterin beim Jugendamt, die sich für die Bedürfnisse eines Kleinkindes stark machen würde.
Leider war dies nicht der Fall. Das hat meine Tocher und mich jahrelang in Schwierigkeiten gebracht.
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